CD Parallax – Accuso Deum
Die plank® im Dialog mit Orchester (2020/2021)
Mit seiner rund 45-minütigen Komposition „Parallax“ legt Heiko Plank sein viertes Opus in sinfonischer Länge auf CD vor. Nach seinen Kompositionen „Palingenesis“ (Uraufführung in Madrid 2006), „Blautopf“ (Uraufführung im ZKM Karlsruhe 2009, CD 2011) und „Drifting Waves“ (CD und Uraufführung in Valencia 2015), die ganz auf den Klangkosmos und die spieltechnischen Möglichkeiten seines Solo-Instruments plank in Verbindung einer Digital Audio Workstation zugeschnitten sind, wendet sich Heiko Plank mit „Parallax“ der Verbindung zwischen dem Klang der plank und Orchester zu.
In der Instrumentierung seines Werks gewichtete Heiko Plank die Klangfarben der Tiefe. Mit tiefen Blech beginnt es. Monumental im Raum stehende Akkorde erheben sich allmählich sich aus dem Nichts – ein gewaltiges Entree, das den Beginn einer großen Erzählung vorbereitet. Erzählt wird sie mit der Stimme der plank, deren erstes Solo ein weites klangliches und emotionales Panorama eröffnet. Eine zarte, verletzte, erzürnte und energisch protestierende Persönlichkeit stellt sich uns im Klagegesang der plank vor. Ein wendiger, hochvirtuoser Solist, der voller Überraschungen steckt, auch angriffslustig ist, in einer Kombination von Zorn, Schmerz und Überschwang. In eskalierenden Kaskaden und Akkordbrechungen über chromatisch absteigender Basslinie entfaltet Heiko Plank das nuancenreiche klangliche Repertoire seines exzeptionellen Instruments: Ein brillanter Diskant, der filigranste Koloratur-Nuancen transparent macht, getragen vom imposanten, voluminösen Bass, der sich jäh und zornig aufbäumt: Hier ist jemand, der Fragen vorzutragen hat und aufbegehrt.
„Parallax“ entstand in einer Phase der Verinnerlichung und Schaffenskraft des Komponisten während des Corona-Lockdowns 2020/2021.
Eingespielt und aufgezeichnet wurde die plank vom Komponisten Heiko Plank selbst. Alle Orchesterinstrumente sowie die weiteren Solo-Instrumente Oboe und Flöte wurden von Heiko Plank für diese CD generiert. Der Komponist selbst zeichnet darüber hinaus für das Mastering und Recording der gesamten CD verantwortlich.
Es entfaltet sich in Heiko Planks Werk „Parallax“ ein Gespräch in der Form eines inneren Dialogs des Solisten, der zu sich selbst, dem Universum, Gott oder einem imaginären Gegenüber spricht. 80 Jahre nach der Uraufführung des „Concierto de Aranjuez“ für Gitarre und Orchester in Barcelona, dessen 2. Satz, eine urmenschlich berührende musikalische Erzählung über den Schmerz nach dem Tod eines geliebten Menschen, zu den bedeutendsten Werken der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts zählt, schreibt Heiko Plank ein neues dialogisches Werk, das es eine Erzählung anstimmt. Beide Komponisten berufen sich dabei auf die traditionelle andalusische Gesangsform der „Saeta“, eines ursprünglich religiösen Klagegesangs, wie er bei Prozessionen zum gesteigerten Ausdruck der Wehklage erklingt.
Das Medium der musikalischen Erzählung wählte Heiko Plank hier nicht zum ersten Mal. Rückblickend erscheint sein Werk „Blautopf“ (2009) wie eine Vorbereitung dieser Entwicklung – ein gegenständliches Werk, das eine imaginäre Reise durch das süddeutsche Höhlensystem „Blautopf“ beschreibt, die Akustik der verschiedenen Höhlenräume, durch die das Quellwasser aus unermesslichen Tiefen sprudelt, darstellend. Eines der ´phantastischsten´ Werke Heiko Planks. Die unterirdischen Höhlen zählen zu den unzugänglichsten Orten der Erde und Planks musikalische Erzählung einer Reise hindurch gerät für die Hörerinnen und Hörer zu einer dramatischen Erfahrung.
Heiko Plank führt in seinem Werk die Hörerinnen und Hörer durch seine Erzählung wie durch eine Reise. Das gilt für „Blautopf“ wie für „Parallax“, doch ist im neuen Werk Heiko Planks die Erzählung keine geographische Reise, sondern eine emotionale, die durch die Abgründe und abgelegensten Kammern des inneren Raums führt: Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, dem Schicksalhaften, dem Zufälligen, das sich ereignet und weggeführt hat von dem, was eigentlich der Plan gewesen war, was man gewollt, erwartet, versucht oder sich gewünscht hatte. Wellen und Stürme, hervorgerufen durch schlimmste Schicksalsschläge im emotionalen Erlebnisraum – ohne, dass es um eine (seine) konkrete Biographie ginge. Es geht um das Ausloten menschlicher Verzweiflung, die Positionierung des Selbst in der Mitte oder am Ende des eigenen Lebens, um die introspektive Analyse der eigenen Befindlichkeit in Anbetracht der inneren Aufruhr, die das Leben verursacht hat. Wie viel Energie kann ein Mensch nach dem Schlimmsten für das Weiterleben aufbringen? Wie kann Hoffnung entstehen, wenn alles zerstört ist? Wie Glück in feindlicher Umgebung? Der emotionale Gehalt dieser oder anderer in purer Verzweiflung unausweichlich sich stellender Fragen verdichtet sich in Heiko Planks Werk „Parallax“ zu einer großen urmenschlichen Wehklage.
Heiko Plank lässt eine weitere Solostimme das Wort ergreifen. Die plank erhält einen Dialogpartner. In großen melodischen Phrasen wendet sich die wohltuend beschwichtigende, süß klingende Stimme einer Oboe der wehklagenden plank zu. Es entspinnt sich ein Dialog in der Form eines Quodlibets, in dem zwei Stimmen, zwei Melodien gegeneinander und dann nebeneinander her reden – die plank als Auslöserin und Impulsgeberin des Gesprächsverlaufs und die Oboe als beruhigendes, verlangsamendes und stabilisierendes Gegenüber, darum bemüht, das Gemüt zu beruhigen. Die tiefen Streicher des Orchesters, schreiten im Rhythmus der plank, unterstützend, insistierend gar, bis sie sich auflösen und verlieren im Nichts, sodass die Oboe allein im Raum schwebt. Der Melodie ohne Halt gesellt sich die plank bei, klar sich artikulierend, allen Beschwichtigungsversuchen zum Trotz. Die sich immer weiter in ihre Auseinandersetzung hineinsteigernden Parteien der plank und der Oboe beschwören schließlich eine dritte Stimme aus der Tiefe herauf: Es ertönt die große Trommel. Mächtig crescendieren ihre Schläge bis sie den musikalischen Raum schließlich ganz für sich einnehmen. Die große Trommel steht für die andere Seite, die, allen guten Ratschlägen zum Trotz, dem Unausweichlichen Gewicht verleiht. Was nicht ignoriert, übergangen oder verhindert werden kann, darauf muss insistiert werden, in der Not auch mit teuflischer Unterstützung, bis es zum Gesetz erkoren ist. Die Schläge der großen Trommel unterstreichen die von der plank artikuliert Klage und damit die Forderung nach einer tiefen, weitergehenden Auseinandersetzung mit dem, was sie vorzutragen hat. Die Oboe verstummt schließlich und mit einem plötzlichen Fortissimo läutet die große Trommel einen kraftvollen, eskalierenden Derwischtanz an, angetrieben durch perkussive Bogenschläge der Streicher.
Die Erzählung hat neue Ebene der Heftigkeit und bis zur Aggression reichender Wut erreicht. Aus der Tiefe ihres kraftvollen Basses erhebt sich erneut in filigran kolorierten Kapriolen die Stimme der plank zu einer ausführlichen Erzählung, begleitet von den Streichern im Pizzicato, und die Oboe gesellt sich dazu. In Akkordbrechungen, deren Klänge sich wie Wellenberge- und Täler auf der Wasseroberfläche eines Sees überlagern und brechen, bewegen sich plank, Orchester und Oboe gemeinsam in harmonischem Einklang, dessen bestechende Schönheit überhöht wird durch darüber schwebende, lange Flageoletttöne, die sich zu einer Makro-Melodie zusammen schließen. Der Wunsch, sich in der betörenden Harmonik dieser Sequenz zu verlieren, wird jäh gestört durch einen disharmonischen Keil, den die hohen Streicherlagen dazwischenschieben. In spiralförmig nach oben führenden Bewegungen spielt sich die plank in höchste Höhen, angepeitscht durch synkopische Impulse des Orchesters. Ruhe in dies feurige Treiben bringt erneut die Oboe, mit über allem stehenden Tönen, von denen sich die plank nun in Verbindung mit den Celli beruhigt, sodass ein Trio sich neu findet und gemeinsam harmonisch weitergeht.
Der Trialog gestaltet sich extrem dramatisch wandlungsvoll weiter in immer neuen Kapiteln und Phasen wechselnder Klangkonstellationen, Streicher- und Bläsersätzen. Dabei kommen verschiedenste Module mit jeweils neuen Themen und Instrumentierungen zum Einsatz, deren Reihung, Verbindungen und Kombinationen dem Werk „Parallax“ eine transformative Gestalt verleiht. Der etymologischen Bedeutung des Titelbegriffs „Parallax“ entsprechend wird das Grundthema der introspektiven Bestandsaufnahme und Analyse des Selbst nach der Katastrophe aus den verschiedensten Perspektiven betrachtet, beleuchtet und erkundet. Immer wieder kommt der Moment, aus dem sich Protest formiert, lautstark Gehör verschafft und so dafür sorgt, dass die Musik sich verändert, neu generiert und neu ansetzt.
Den letzten Einschnitt grätscht die Flöte hinein mit einem furiosen Solo voller auffallend wilder Koloraturen und Flatterzungentrillern. Im Anschluss werden die Hörerinnen und Hörer Zeuge einer sukzessiven Auflösung und Neugeburt der Musik. Ein erstes Signal der bevorstehenden Veränderung setzen Einspielungen von langen, hohen extrem verlangsamt wiedergegebenen Tönen der plank, die wie aus dem Nichts parallel zu den in Echtzeit dazu gespielten Tappings der plank allmählich an Lautstärke gewinnen und schließlich alleine monumental im Raume stehen. Ein mächtiges Voranschreiten formiert sich allmählich aus den Subbasslagen der tiefen Streicher, unterstrichen durch die Hörner und lange Phrasen der Oboe. Die plank tritt mit einer neue rhythmische Schwerpunkte setzenden tirolischen Melodie ein, die, sich aufbauend, das Fundament bereitet und die Erwartung anwachsen lässt für das Einsetzen eines neuen Klangs: Schließlich ist er zu hören und etwas befremdlich erscheint er zunächst. Eine Art Geklimper, eine Mischung aus Klavierklang und Glockenspiel, das zart und hoch, klar aber schüchtern in den Raum tönt, begleitet von einem Rhythmus aus miniaturisierten Blubb- und Piepsklängen, die eine Art Rhythmus zeichnen – ein zunächst krasser Gegensatz zu den satten, aus der tiefe aufgebauten Orchester- und Instrumentalklängen der Anfangsphase der Komposition, fast lustig anzuhören. Die plank stimmt mit ihren Triolen dazu ein und strenge Akkorde des Orchesters, die sich chromatisch nach oben schrauben, geben der Entwicklung etwas Zwingendes, das einen neuen Ernst der Situation gebiert. Nach einem Moment der Stille ist dann die Transition der Musik zu hören. Geräuschhafte Glissandi, erzeugt auf den Saiten der plank, entziehen nicht nur der Harmonik den Boden, sondern auch den bisherigen Hörgewohnheiten klanglicher Eindeutigkeit in der Identität spezifischer Instrumentalklänge. Die große Trommel schlägt zu den Geräuschen der plank, einem lauter werdenden Schrabbeln, tropfenartigen Geräuschen, wie rückwärts gespielt tönenden Klängen, Trillern, Echos: Die Musik löst sich in Geräusche auf und aus den Elementarbestandteilen der Klangerzeugung entsteht eine andere Musik.
Als sie sich schließlich entfaltet, klingt sie wie bereits lange erwartet, als habe man sie schon mal gehört und kenne sie irgendwoher: Eine einfache Melodie der plank, in der sich das gute Gefühl wiederfindet, angekommen zu sein. Eines der Seitenmotive aus einem der vorherigen Module der Komposition ist nun das Hauptmotiv: unverkennbar als musikalische Verkörperung der Unschuld, Freiheit und Unbeschwertheit. Ein bestechend hübsches Motiv, das Heiko Plank im vorderen Teil von „Parallax“ im Flageolett über den Orchesterklang positionierte, von wo aus es sich in höchste Höhen entwickelte bis es davonzufliegen schien. Nun steht dieses Motiv im Zentrum, in der mittleren Lage der plank, die dazu ihrerseits Flageoletttöne als Begleitung tupft. Die Flöte, die sich zuvor so arg beschwert hatte, stimmt nun zur Melodie ein und alles fühlt sich so richtig und gut an wie ein ewig gültiges „kunstlos Lied“ (Zitat aus: Friedrich Hölderlin, Ode „Heidelberg“, 1798.). Ein gutes Ende, das nach noch ein paar wenigen Flageolett-Tupfen der plank dann in die darauf folgende Stille nach der Komposition führt.
Das Werk „Driftig Waves“ (Live 2015) von Heiko Plank wurde auf diese CD aufgenommen, weil der Komponist diese Improvisation als Ursprung seines Werks „Parallax“ versteht. Eine Passage aus „Drifting Waves“ arbeitete Heiko Plank, in neuer Instrumentierung und damit in anderer Klangfarbigkeit, in sein Werk „Parallax“ ein.
´Drifting Waves´ ist eine Solo-Performance, die sich durch die Tonarten von Musik und Emotion bewegt. Nach einer freien Einleitung gelangt der Solist zu einem bestimmten Klang, aus dem sich die Musik entwickelt. Diese Infinitiv-Modulation wird durch die Stimmführung gesteuert. Während der Bewegung von Akkord zu Akkord werden den einzelnen Stimmen bestimmte Funktionen zugewiesen. Der Einsatz des Echoeffekts verändert das Zeitgefühl. Die Wiederholung verlängert die Dauer bestimmter Zeiträume. In der Gegenwart hören wir gleichzeitig, was in der Vergangenheit erklang und in welche Richtung sich die Zukunft entwickeln wird. Das Ergebnis ist eine Harmonie der Übergänge.
Andrea Edel